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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 26.02.2009
Aktenzeichen: 1 Ss 10/09
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 46
StGB § 47
StPO § 261
StPO § 267 Abs. 3 Satz 2
StPO § 333
StPO § 335
StPO § 349 Abs. 2
StPO § 354 Abs. 1 a)
StPO § 354 Abs. 2 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die (Sprung-) Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Königs Wusterhausen vom 10. Juli 2008 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Königs Wusterhausen - Jugendschöffengericht - zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als offensichtlich unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Königs Wusterhausen hat den Angeklagten mit Urteil vom 10. Juli 2008 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt und vom Vorwurf weiterer sechs Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln freigesprochen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Sprungrevision des Angeklagten, die mit näheren Ausführungen die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 27. Januar 2009 die Verwerfung der Revision als offensichtlich unbegründet beantragt.

II.

Die (Sprung-) Revision des Angeklagten ist nach §§ 333, 335 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 341 Abs. 1, 344, 345 StPO). Die Revision hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

1. Soweit sich die Sachrüge gegen den Schuldspruch richtet, ergibt die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten, weshalb die Revision insoweit auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen ist.

a) Insbesondere ist gegen die folgende Feststellung des Amtsgerichts nichts zu erinnern:

"... Zuvor hat der Angeklagte in mindestens zwei weiteren Fällen seit dem 01. November 2005 bis zum 05. Juli 2006 jeweils zirka 16 g Marihuana an den .... für jeweils 45,--€ verkauft."

Die Individualisierung und Konkretisierung einzelner Straftaten nach genauer Tatzeit und exaktem Geschehensablauf unterliegen in Fällen wie den vorliegenden sich mehrfach wiederholender, gleichförmiger Geschehensabläufe häufig Feststellungsschwierigkeiten. In diesen Fallgestaltungen dürfen an die Ausführungen in den Urteilsgründen zu den einzelnen Taten keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden. Notwendig ist allerdings die Feststellung einer Mindestzahl ihrer Begehung nach konkretisierten Einzeltaten innerhalb eines bestimmten Zeitraumes (vgl. BGH St 42, 107).

Diesen Anforderungen genügen die Feststellungen des Amtsgerichts zur Begehung mindestens zwei weiterer Verkäufe des Angeklagten an den Zeugen F. von zirka 16g Marihuana zum Preis von jeweils 45,-- € in der Zeit vom 01. November 2005 bis zum 05. Juli 2006 (Fälle 3 und 4).

b) Auch soweit die Revision ausdrücklich die Beweiswürdigung des Tatgerichts angreift, bleibt ihr der Erfolg versagt.

Die Revision vermisst hinsichtlich der Anzahl der Betäubungsmittelverkäufe an den Zeugen F. vor dem 05. Juli 2007 die Erörterung der (abweichenden) Aussagen des Belastungszeugen .... im Ermittlungsverfahren und in der ausgesetzten Hauptverhandlung vom 06. März 2008 in den Urteilsgründen. Der Senat sieht hierin keinen Verstoß gegen § 261 StPO.

Die Revision kann grundsätzlich nicht mit der Behauptung gehört werden, das Tatgericht habe sich mit einer bestimmten Aussage einer Beweisperson nicht auseinandergesetzt, wenn diese Aussage sich nicht aus dem Urteil selbst ergibt. Denn es ist allein Sache des Tatgerichts, die Ergebnisse der Beweisaufnahme festzustellen und zu würdigen; der dafür bestimmte Ort ist das Urteil. Was in ihm über das Ergebnis der Verhandlung zur Schuld- und Straffrage festgehalten ist, bindet das Revisionsgericht (vgl. BGH in StV 1992, 549f. m.w.N.) Hier ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, dass und wie sich der Zeuge .... im Ermittlungsverfahren bzw. in einer vorangegangenen, aber ausgesetzten Hauptverhandlung zur Anzahl der Betäubungsmittelankäufe vom Angeklagten in einer Weise geäußert hat, die zu seiner Aussage in der Hauptverhandlung in einem (nicht lösbaren) Widerspruch steht.

Die Revision kann auch nicht mit dem Vortrag Erfolg haben, das Tatgericht habe es entweder unter Verletzung seiner Aufklärungspflicht unterlassen, die frühere Aussage in die Hauptverhandlung einzuführen oder aber es habe sich fehlerhaft mit einer in die Hauptverhandlung eingeführten wesentlichen Tatsache in den Urteilsgründen nicht auseinandergesetzt. Diese Argumentation läuft auf die unzulässige Rüge der "Aktenwidrigkeit" der Urteilsgründe hinaus.

Es ist festzuhalten, dass die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung erfolgt und danach die Feststellungen zu treffen und die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu beurteilen sind. Das geschieht unter Berücksichtigung entgegenstehender oder übereinstimmender Umstände, die sich aus den Akten ergeben und die durch Verlesung, Vorhalt oder Aussagen von Vernehmungsbeamten in die Hauptverhandlung eingeführt werden können. Maßgebend ist dann aber der Eindruck in der Hauptverhandlung. Widersprüche zwischen dem Inhalt des Urteils und den Akten sind, wenn sie sich nicht aus den Urteilsgründen ergeben, für sich allein revisionsrechtlich unerheblich. Sie können eine solche Erklärung gefunden haben, dass für das Tatgericht, dem die Entscheidung hierüber zusteht, kein Anlass bestand, sie als wesentliche Punkte in der Beweiswürdigung zu erörtern. Ein Erörterungsmangel im Sinne des § 261 StPO liegt daher nur dann vor, wenn sich ein Widerspruch aus dem Urteil selbst ergibt und in den Urteilsgründen nicht ausgeräumt wird (vgl. BGH a.a.O.).

Das Herausgreifen und Beurteilen eines Aktendetails, das im Urteil keine Stütze findet, kann ohne Berücksichtigung des gesamten Akteninhalts und ohne Kenntnis dessen, was in der Hauptverhandlung im Einzelnen geschehen ist, zu falschen Ergebnissen führen. Die Überprüfung dieses Revisionsangriffs müsste deswegen regelmäßig den gesamten Akteninhalt und den Inhalt der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung berücksichtigen und rekonstruieren. Solches widerspricht der Ordnung des Revisionsverfahrens (vgl. BGHSt 17, 351, 352; Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozess, 7. Aufl., Rn. 247 m.w.N.).

c) Zudem gefährdet das Fehlen von Feststellungen zum Wirkstoffgehalt nicht den Schuldspruch, sofern - wie hier - das Vorliegen einer nicht geringen Menge nach den Urteilsfeststellungen nicht in Betracht kommt (vgl. Körner, BtMG, 6. Aufl., § 29, Rn. 717, 726).

2. Jedoch ergibt die durch die erhobene Sachrüge veranlasste Überprüfung, dass der Rechtsfolgenausspruch des amtsgerichtlichen Urteils keinen Bestand haben kann.

Die Urteilsfeststellungen zur Strafzumessung (§ 46 StGB) sind lückenhaft. Sie bieten keine tragfähige Grundlage für die Prüfung des Revisionsgerichts, ob das Recht richtig angewendet worden ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 337, Rn. 21; OLG Düsseldorf, in NStZ 1988, 325).

Zwar ist es grundsätzlich Sache des Tatgerichts, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Täterpersönlichkeit gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist in der Regel nur möglich, wenn die Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht einen falschen Strafrahmen wählt oder die ihm nach § 46 StGB obliegende Pflicht zur Abwägung der für und gegen den Täter sprechenden Umstände verletzt, insbesondere rechtlich anerkannte Strafzwecke nicht beachtet, sich von Gesichtspunkten leiten lässt, die der Strafzumessung nicht zugrunde gelegt werden dürfen, oder wenn sich die Strafe so weit nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, dass sie nicht mehr innerhalb des Spielraums liegt, der dem Tatgericht bei der Strafzumessung eingeräumt ist (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., Rn. 34f.; Fischer, StGB, 56. Aufl., § 46 Rn. 146ff.; Dahs/Dahs, a.a.O., Rn. 440). Im Hinblick auf diesen Spielraum ist eine exakte Richtigkeitskontrolle der Strafzumessung des Tatgerichts ausgeschlossen; in Zweifelsfällen muss danach dessen Strafzumessung von dem Revisionsgericht hingenommen werden (vgl. BGHSt 29, 319, 320 m.w.N.).

Vorliegend ist indes selbst eine so eingeschränkte Überprüfung der Strafzumessung nicht möglich, weil das Amtsgericht seine Zumessungserwägungen nicht in einem eine Nachprüfung ermöglichenden Umfang dargelegt hat.

Das Amtsgericht hat sich darauf beschränkt, die festgesetzten Einzelstrafen und die Gesamtstrafe mitzuteilen. Den Ausführungen zur Strafzumessung ist lediglich zu entnehmen, dass das Gericht gemäß seiner vorgenommenen Nummerierung für die 1. Tat eine Einzelgeldstrafe von 40 Tagessätzen, für die zweite Tat von 50 Tagessätzen, für die 3. Tat dann eine kurze Einzelfreiheitsstrafe von zwei und für die 4. Tat schließlich von drei Monaten festgesetzt hat. Eine Strafzumessung - ein Abwägen der bestimmenden mildernden und belastenden Gründe für die gewählten Strafmaße - enthalten die Urteilsgründe indes nicht.

Der aus dem Darlegungsmangel resultierende Konflikt des Senats im Rahmen der Prüfung der Strafzumessung auf mögliche Rechtsfehler zeigt sich augenscheinlich daran, soweit das Amtsgericht nicht ausgeführt hat, weshalb es für die vier Verkaufsfälle eine derartige Differenzierung im Strafmaß (von einer noch geringen Geldstrafe bis zu einer kurzen Freiheitsstrafe) vorgenommen hat, obwohl sich die Betäubungsmittelverkäufe nach den getroffenen Feststellungen nicht in signifikanter Weise unterscheiden. Es bleibt daher nur zu vermuten, dass hierfür der Zeitpunkt der Tatbegehung eine Rolle gespielt und das Amtsgericht entsprechend seiner Aufzählung die Einzelstrafen jeweils verschärft hat. Eine solche Vorgehensweise wäre indes schon deshalb rechtlich bedenklich, weil die vom Amtsgericht fortlaufende Fallaufzählung nicht der chronologischen Reihenfolge der Straftaten entspricht. Denn tatsächlich folgte die 1. Tat, deren Tatzeit der 17. Juli 2006 und nicht der 17. Juni 2006 war - insoweit handelt es sich um eine offensichtliche Unrichtigkeit in den Tatsachenfeststellungen, wie sich zwanglos aus den Ausführungen zur Beweis- und rechtlichen Würdigung ergibt - zeitlich der 2. Tat vom 05. Juli 2007. Darüber hinaus konnten die Tatzeiten für die Fälle 3 und 4 nur auf einen Tatzeitraum ohne Festlegung auf eine Reihenfolge ihrer Begehung eingegrenzt werden.

Auch ist, wenn wie vorliegend der Angeklagte mehrere rechtlich selbständige Straftaten begangen hat, für jede Einzelstrafe eine Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen des § 47 StGB vorzunehmen und gemäß § 267 Abs. 3 Satz 2 StPO eingehend und nachprüfbar zu begründen, weshalb bei den Einzelfreiheitsstrafen (hier die Fälle 3 und 4 betreffend) keine Geldstrafe verhängt worden ist (vgl. Fischer, a.a.O., § 47 Rn. 4 m.w.N, BGHR StGB § 47 Abs. 1 Umstände 3). Dabei kommt es nicht darauf an, dass aus diesen Einzelfreiheitsstrafen eine Gesamtstrafe zu bilden ist. Insbesondere spielt es keine Rolle, ob die Gesamtstrafe - wie hier - sechs Monate beträgt (Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 116 m.w.N.; Thüringer OLG, Beschluss vom 02. Januar 2006, 1 Ss 36/05, zitiert in juris).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Es lässt mangels hierzu getroffener Erwägungen eine revisionsrechtliche Überprüfung, ob das Amtsgericht von einer zutreffenden Rechtsauslegung der maßgeblichen Begriffe des materiellen Rechts (Verteidigung der Rechtsordnung und Unerlässlichkeit) ausgegangen ist, schlicht nicht zu.

Zudem ist die Gesamtstrafenbildung mangels einer Begründung rechtlich nicht nachprüfbar. Insbesondere dürfte angesichts des engen zeitlichen, sachlichen und situativen Zusammenhangs der Tatserie eine im Vergleich zum angefochtenen Urteil straffere Zusammenziehung der Einzelstrafen nahe liegen (vgl. dazu BGHR StGB § 54 Serienstraftaten 1, 3, 4, 5; Strafhöhe 1; § 54 Abs. 1 Bemessung 12).

Das angefochtene Urteil ist demnach im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben. Eine Entscheidung des Senats gemäß § 354 Abs. 1a) StPO kommt nicht in Betracht, weil es hierzu eines zutreffend ermittelten, vollständigen und aktuellen Strafzumessungssachverhalts bedarf (vgl. BVerfGE 118, 212ff.), welcher nicht zur Verfügung steht. Hierzu bemerkt der Senat, dass das neue Tatgericht in die vorzunehmende Rechtsfolgenentscheidung auch Feststellungen oder Schätzungen zum Wirkstoffgehalt einzustellen hat. Die fehlenden näheren Feststellungen zum Wirkstoffgehalt gefährdeten vorliegend - wie bereits ausgeführt - zwar nicht den Bestand des Schuldspruches. Für den Strafausspruch sind dahingehende Feststellungen jedoch regelmäßig von maßgeblicher Bedeutung. Da in zwei Fällen das Marihuana sichergestellt worden ist, könnte auch eine Untersuchung des Wirkstoffgehalts noch möglich sein.

Die Sache wird daher im Umfang der Aufhebung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Königs Wusterhausen - Jugendschöffengericht - gemäß § 354 Abs. 2 S. 1 StPO zurückverwiesen.

Ende der Entscheidung

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